U. v. Beckerath,
7.1.49.
Lieber Herr Dr. Runge,
in der Ostzone spielt sich
z.Zt. ein monetaer interessanter Vorgang ab. Die Deutsche Wirtschaftskommission
bemueht sich, die bargeldlose Zahlung ueberall da durchzusetzen, wo sie nur
irgend technisch moeglich scheint. Die Westzeitungen berichten, dass geplant
sei, den Besitz von mehr als 300.- Bargeld unter Strafe zu stellen. Ich weiss
nicht, ob das inzwischen geschehen ist. Auch Steuern sollen moeglichst
bargeldlos bezahlt werden. Wenn die DDR ihr Programm durchsetzt, dann hat das
umlaufende Papiergeld ueberhaupt keinen Rueckstrom mehr. Wert aber hat das
Papiergeld trotzdem noch. Alle Laeden muessen es nehmen, auch alle Glaeubiger,
aber, die Glaeubiger duerfen Bargeld nicht fordern, wenn ihnen eine Verrechnung
angeboten wird. Soviel scheint sich jedenfalls aus den Zeitungsnachrichten zu
ergeben. Um ganz klar zu sehen, muesste man den Text der Verordnungen und die
Ausfuehrungsbestimmungen zur Hand haben. Die kann ich mir aber ohne grossen
Zeitverlust und Unkosten, die ich z.Zt. vermeiden moechte, nicht beschaffen.
Kommt hinzu, dass man in den Ostsektor zwar ohne weiteres hineingelassen wird,
bei der Rueckkehr in die Westsektoren aber mit Unannehmlichkeiten zu rechnen
hat, auch Konfiskationen des Westgeldes, das man bei sich hat. Lebensmittel
werden ohne weiteres konfisziert. Ich getraue mich also zu vier kleinen, im
Gebaeude der DWK in der Leipziger Str. befindlichen Buchhandlungen nicht mehr
hin.
Zwangskurspapiergeld,
wie die Ostmarkscheine, verhalten sich in vieler Beziehung wie Goldgeld, nur
dass der Nominalwert mit dem Realwert sehr selten uebereinstimmt, wie die
Geldgeschichte ja seit ein paar Jahrhunderten lehrt. Auch Goldgeld bedarf ja
keines Rueckstromes um wertvoll zu sein. Wird aber die Nachfrage nach Goldgeld
dadurch erhoeht, dass die Regierung Steuern in Goldgeld annimmt oder sogar - -
wenigstens bei einigen Steuern (frueher z.B. in fast allen Laendern bei
Zoellen) - - vorschreibt, dann muss das den Wert des Goldgeldes erhoehen, indem
durch jene Massnahme irgendwelche Preise sinken. Irgendwelche Warenbesitzer
muessen um das geforderte Goldgeld aufbringen zu koennen, Waren verkaufen, die
sie sonst nicht oder noch nicht verkauft haetten.
Zu
pruefen ist, ob die zusaetzliche Nachfrage nach Zwangskursgeld durch den Fiskus
seinen Wert sehr erhoeht. Ich vermute, dass die Erhoehung nicht gross
sein wird. Wer gezwungen ist, an den Fiskus Barzahlungen zu leisten, sein
Bankkonto oder sein Postscheckkonto gegenueber dem Fiskus also nicht benutzen
darf, der wird andere Glaeubiger, die er sonst in bar bezahlt haette, durch
Ueberweisungen befriedigen. Im Rheinland war z.B. zur Zeit meiner Kindheit
folgendes haeufig. Eine Familie verpflichtete sich ihre Lebensmittel etc. in
einem bestimmten Laden zu kaufen. Die Einkaeufe wurden in ein Buch eingetragen.
Am Monatsende wurde der Gesamtkaufbetrag bezahlt, oft durch Ueberweisung, aber
auch durch Barzahlung. Auf diese Weise kontrollierte der Familienvater sein
Dienstmaedchen und nebenbei seine Hausfrau - - bei den etwas leichtsinnigen
Rheinlaenderinnen nicht ganz ueberfluessig. Angenommen, diese Sitte bestaende noch heute (ich vermute, sie
besteht nicht mehr), so wuerden viele Familienvaeter ihren Laden durch
Ueberweisung bezahlen und ihre Steuern in bar, waehrend sie es bisher
vielleicht umgekehrt gemacht haetten. Ich erwaehne das Beispiel nur um zu
zeigen, dass es moeglich ist, das Bargeld sogar da auszuschalten, wo es seit
Jahrzehnten dominiert hat, naemlich in Laeden.
Ich
will mit vorstehendem nicht etwa behaupten, dass Ihr Hinweis auf die
Beeinflussung des Geldwertes durch die Art der Steuerzahlung und die Wahl des
Steuerzahlungsmittels ueberfluessig ist. Im Gegenteil: Ich bin auch immer
dafuer eingetreten, dass die fiskalischen Berichte eine Uebersicht darueber
enthalten sollten, wie viel Steuern in bar, wie viel durch Ueberweisung und wie
viel durch Verrechnung bezahlt wurden.
Nebenbei:
Erst gegen Ende des 19-ten Jahrhunderts kamen die Historiker darauf, dass die
alten Rentamtsbuecher der deutschen Staedte ueber die wirklich stattgefundene
Finanzwirtschaft wenig aussagten, weil ein sehr erheblicher Teil der Einnahmen
und der Ausgaben ohne Bargeld geschah! Da hatte z.B. ein Maurer groessere
Arbeiten an der Stadtmauer ausgefuehrt. Dafuer bekam er selten Bargeld, sondern
es wurde ihm ein Verpflichtungsschein gegeben, auf dem stand: "Die
Verwaltung der Marktgelder zahlen dem Inhaber des Scheines so und so viel Pfund
Heller."
Die
Verwaltung tat das aber nicht, teils weil sie es nicht konnte, oefters, weil
sie es nicht wollte. Aber den Schein konnte die Stadt nicht ablehnen, tat sie
auch nicht. Ueber die ausgestellten Verpflichtungsscheine aber fehlen fast alle
Nachweise. Es scheint, dass die meisten Stadtverwaltungen sie nicht gebucht
haben!
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Fordern
Sie in Ihrem Buch, dass kuenftig jede oeffentlich-rechtliche Koerperschaft in
ihren Geschaeftsberichten auch die Art der empfangenen und der ausgegebenen
Zahlungsmittel publiziert!
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Vielen
Dank fuer Ihr freundliches Angebot, mir evtl. von dort aus Lebensmittel zu
besorgen. Aber, seit der Blockade hat sich unsere Lebensmittelversorgung ganz
erheblich verbessert. Wir leben jetzt viel besser als die Bewohner der Ostzone.
Wenn Sie da Bekannte haben, so schicken Sie denen mal gelegentlich was.
Die sind aufnahmefaehig. Tag und Nacht brummen ueber Berlin die Flugzeuge,
manchmal in Abstaenden von weniger als einer Minute. (Eine Linie fuehrt direkt
ueber mein Haus. Ich habe mich trotz meiner grossen Geraeusch-Empfindlichkeit
ganz daran gewoehnt.)
Soviel fuer heute und in Eile.
Mit
bestem Gruss
Ihr gez.: U. v. Beckerath.
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First published in: Ulrich von
Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit; Gesammelte Briefe,
Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 439 (Mikrofiche), Berrima,
Australia, 1983. Page 1329.